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Philips weiß,
was Surfer wünschen
von CyberJack IV - ne

 

Entgegen verbreiteter Gerüchte bin ich ein Mensch. Ein richtiger Mensch aus Fleisch und Blut, komplett mit Herz, Lunge und Vorsteherdrüse. Gut, zugegeben, ich habe auch Hände, mit denen ich natürlich nichts anderes tue als mich auf der Computertastatur durch virtuelle Onlinewelten zu hacken. Aber sonst ist alles in Ordnung mit mir, ehrlich.

Also, das ist geklärt. Ich bin ein Mensch. Das hat Nachteile. Wäre ich nur ein Avatar, könnte ich mich in seelischen Tiefflugphasen ausloggen und hätte Ruhe. Das Ausloggen als Mensch ist allerdings ein problematischer Vorgang, da beim heutigen Stand der Wissenschaft ein Reboot nicht möglich ist. Zumindest nicht als Mensch. Also bleibe ich eingeloggt, solange der Große Sysop es für richtig hält. Obwohl ich mich während der aktuellen Sitzung beliebig oft in den Sleep- und Standby-Modus versetzen kann, ist eine komplette Reorganisation meiner emotionalen Sektoren auf diese Weise nicht möglich. Manchmal, ich schäme mich, es zuzugeben, erfaßt mich eine niedere, archaische, instinktive Lust auf - ja - auf Leben. Körperliches Leben. Materiebasierendes Leben. Auf Kontakt. Auf Ausgehen. Auf Party. Auf hübsche Mädchen. Auf Interaktion im gesellschaftlichen Raum. Ein alter Freund sagt, man könne es auch schlicht Einsamkeit nennen. Aber das ist natürlich Unsinn.

Wie auch immer. Abende, die solchen Sturm- und Drang-Koliken folgen, verbringe ich oft in den diversen Clubs meiner Heimatstadt. Eigentlich ist hier alles vorhanden, was ich vorher beschrieben habe. Ausgehen. Leben. Party. Mädchen. Körper. Mädchenkörper.

Moment, etwas fehlt aus der vorherigen Auflistung. Kontakt. Er ist es, der so oft bei meinen Expeditionen ins Leben fehlt. Natürlich, es liegt vor allem an mir. Ich gehöre nicht zu den Kontaktmonstern der Sorte "HallomeinNameist
SteveichstehaufProdigydusiehsteinfachtollausgehnwirzudiroderzumir?". Ich bin für vorsichtige, unaufgeregte Annäherung. Müßte eigentlich auch klappen, oder? Klappt aber nicht. Woran liegt das nur? An meinem Gesicht? Meinem Jeanslabel? Meinem Movecode?

Alles falsch. Inzwischen weiß ich, woran es liegt. Es ist eigentlich ganz einfach. Sie sind eben selten, die Kontaktmonster. Die meisten, die mich interessieren, sind auch keine. Uns so entsteht das, was ich gerne negative Interaktion nenne: Ich werde nicht aktiv, darauf reagierst du mit ebensolcher Inaktivität.

Das wär’s dann. Der Rest ist bekannt. Langsames Absacken des Stimmungspegels, Unterschreiten der roten Linie, Frustration, einsamer Heimweg.

Also bleibt doch nur wieder Handeinsatz. Nein, nicht dazu, sondern für das vorher erwähnte Streunen durch virtuelle Computeruniversen. Bin ich dazu verdammt, bis ans Systemende ein Schattendasein zu fristen?

Bin ich nicht. Ich habe es gelesen. In den Entwicklungslabors des Unterhaltungsriesen Philips entsteht derzeit die Lösung all meiner Probleme. Und sie heißt: Hot Badges. Es sind, ich muß es eingestehen, Computer. Kleine Computer. Ganz kleine Computer. So kleine Computer, daß man sie sich ans Hemd stecken kann. Oder an die Bluse. Oder an die Jeans. Oder an die Lederjacke. Oder - wenn man hart unterwegs ist - sich einen durch den Oberarm piercen kann.

Rettung auf der Flucht vor dem Computer durch einen Computer? Warum nicht. Um wievieles anders funktionieren zum Beispiel Antibiotika? Natürlich darf man sich in diesem Fall den ganz kleinen Computer nicht so vorstellen wie einen großen Computer - nur eben klein. Hot Badges haben keine Tastatur und auch kein Keyboard. Und aussehen tun sie auch nicht wie ein Computer. Eher wie ein Mini-Kuheuter aus Bonbonmasse. Das zum Lieferumfang gehörende Eingabegerät befriedigt schon eher diesbezügliche Erwartungen. Es dient dazu, das eigene Badge mit persönlichen Daten aufzuladen. Was mag ich besonders gerne? (Ja, was eigentlich??) Surfen, richtig. Und Akte X gucken. Und Campari Orange. Und Spanienurlaube. Zärtlichkeit, richtig. Treue? Nächste Frage. Etwas vergessen? Egal, das Hot Badge läßt sich beliebig oft neu programmieren.

Man kann davon halten, was man will, aber man muß eingestehen: Mit den Hot Badges ist den Philips-Entwicklern ein Geniestreich gelungen, der dem Tamagotchi in nichts nachsteht. Meiner Meinung nach wird der Hot Badges-Craze den der digitalen Kuscheleier haushoch übertrumpfen. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie es sein wird. Das personalisierte Badge am Sakko, betrete ich meinen Lieblingsclub. Auf den ersten Blick entdecke ich rund 30 andere Badge-Träger (und vor allem: Trägerinnen). Das an sich unterscheidet Hot Badges noch nicht von früheren Modehysterien. Das andere, grundsätzlich neue Element wird offensichtlich, wenn eine Badge-Trägerin mit übereinstimmenden Interessen in den Sende- und Empfangsbereich meines Badges gerät: Dann nämlich beginnen beide, wie wild zu blinken.

Ich lasse es mir nicht nehmen: Die Zurückhaltenden haben meist mehr zu bieten als die Forschen. Es wird Zeit, daß sie zueinanderfinden. Wenn Hot Badges ihr Schärflein dazu beitragen können, seien Philips die paar lumpigen Milliarden, die sie damit verdienen werden, von Herzen gegönnt.

 


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