Das Spinnennetz
Erzählung mit Vorwort von Inky

Übrigens - der nächste AVATAR erscheint am 1. April 1998 !

Inky als Gastautor im Avatar, *dem* Magazin für den intellektuellen Cyberspacer. Was das soll ?? Genau das hatte ich mich auch gefragt, als mir der werte Herr Chefredakteur dieses unwiderstehliche Angebot machte, für ein fast schon unmoralisch niedriges Autorenhonorar einen eigenen Artikel zu schreiben <g>. Aber gut, ich bin ja allen Gerüchten zum Trotz kein .. material girl. Trotzdem, was soll ich da ? Schließlich ist der Avatar eine Mischung aus Information, Philosophie und anspruchsvoller Unterhaltung. Sogar das Horoskop hat Niveau. Wenn man aber bedenkt, daß der Chefredakteur zugleich auch der Herausgeber ist, wird einem sofort alles klar: es geht wieder mal nur ums Geschäft, also darum, die Auflage zu steigern <g>.  

Sicher wurden dem Herausgeber aufwendige Marktanalysen vorgelegt, die eindeutig ergeben haben, daß ein Riesenpotential an zusätzlichen Lesern vorhanden wäre, die man auf gar keinen Fall so einfach der yellow press überlassen sollte. Der Haken an der Sache ist der, daß diese zahlungskräftige Käuferschicht mit dem Sinn virtueller Existenzen im allgemeinen und dem des Lebens im besonderen nicht das Leiseste anfangen kann <eg>. So hat ein Team von erfahrenen Psychologen das Leseverhalten dieses Marktsegments studiert und teilt es in einer abschließenden Expertise in 3 Gruppen. Zum Ersten die, die bisher vergeblich den Sportteil gesucht haben. Der fehlt zwar heute auch wieder, aber als kleinen Trost gibt es zumindest ein Pinupgirl. (Siehe links - d.H.)

Die zweite große Gruppe an zukünftigen Lesern war bisher durch eine ganz natürliche Barriere - nämlich die Sprache - vom Genuß des Avatar ausgeschlossen. Das ist ausgesprochen schade. Wenn ich mir schon die Mühe mache, meinen Beitrag zur modernen Publizistik kurz vor der Jahrtausendwende zu leisten, dann sollte der auch einer breiten Öffentlichkeit zugängig sein. Ich mache hier schnell einen ersten Schritt über die Grenze und begrüße kurz das englischsprachige Publikum .. Hi folks. Hi Spell. Time to take some German lessons! J

So, nun wird es aber allerhöchste Zeit, mich an all die zu wenden, die mir die liebsten sind. Die von den Experten als hoffnungslose Fälle eingestuften. Netter formuliert .. Menschen wie du und ich, die sich im Cyberspace eingenistet haben und sich da einfach wohl fühlen. Und besonders an einem so trüben, kalten Nachmittag wie heute lieber auf dem Sofa vorm Kamin kuscheln statt wissenschaftliche Theorien solange zu zerpflücken, bis man in die Kälte raus muß, um schnell eine neue Packung Kopfschmerztabletten zu besorgen <g>. Eigentlich wollte ich euch ja mit dem ersten Teil meiner Memoiren unterhalten, aber als sich das herumsprach wurden einige Mitbewohner auffallend unruhig. Also lassen wir das lieber. Ich erzähle euch einfach ein kleines Märchen. Eines von den modernen, gewaltfreien. Mit der sechsmonatigen Garantie, daß beim Vorlesen sogar die abgebrühtesten Kids gelangweilt einschlafen J

Die kleine Spinne schwebte langsam an einem hauchdünnen Faden herab vom Dach des Magic Shop (WorldsAway - d.H.) auf die von der Sonne aufgeheizten Pflastersteine. Ein herrliches Plätzchen, um die ersten wackligen Schritte zu versuchen unter den mißtrauischen Blicken all der mysteriösen Lebewesen rundherum. Sie lernte rasch und mit jedem Tag dauerten ihre Entdeckungsreisen in der fremden neuen Welt etwas länger. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daß die kleine Spinne zu den giftigsten ihrer Art gehörte, trotzdem fand sich immer jemand, mit dem sie sich amüsieren konnte. Vielleicht lag das auch daran, daß sie ganz im Gegensatz zu vielen ihrer Artgenossen keinerlei ernsthafte Ambitionen zeigte, ein Netz zu spinnen und dort auf Beute zu lauern, wer weiß das schon genau.

Von Zeit zu Zeit wechselte sie Form und Farbe. Nicht, um sich der Umgebung anzupassen wie ein Chamäleon. Sie hatte ja keine natürlichen Feinde, vor denen es sich zu tarnen galt. Eher um aufzufallen, wie ein Pfau, der eitel seine Farbenpracht präsentiert. So vergingen die Monate und die Spinne wuchs zu ihrer vollen Größe heran. Mit dem Alter schlich sich auch eine Art Trägheit ein. So hockte sie oft wochenlang auf dem selben Fleck. Ihr neuer Lieblingsplatz war ein Brunnen aus Stein. Und wie der Drache das Wasser unaufhörlich in den Brunnen spuckt, so versprühte sie dort ihr Gift.

Um so mehr erstaunt es, daß im Laufe der Zeit fast wie von selbst ein Kunstwerk aus schillernd bunten Fäden wuchs. So zart und federleicht schwebt es in der Luft, daß man auf den ersten Blick meinen könnte, der leiseste Windhauch würde es zerreißen. Irgendetwas muß dieses filigrane Geflecht aber außerordentlich tragfähig machen. Denn immer öfter kann man beobachten, daß sich die Spinne so richtig quietschvergnügt hineinfallen läßt und wie auf einem Trampolin Saltos und Purzelbäume schlägt. Wenn man dieses Netz dann genauer unter die Lupe nimmt, stellt man fest, daß es an einigen Knoten fest am Boden verankert ist. Halterungen, die aus kompakterem Material als Träume bestehen.

Ab und zu bekommt die Spinne gutgemeinte Ratschläge von ihren Artgenossen. Sie solle endlich erwachsen werden und sich an dem ihr vorbestimmten Platz in der Nahrungskette einfügen. Sonst wäre das böse Ende vorprogrammiert. Eines Tages würde sie bestimmt im eigenen Netz zappeln - als Gefangene. Je nach Tagesverfassung geht die Spinne dann trotzig in Verteidigungsstellung, und die vielen schwarzen Härchen auf ihren acht Beinen sträuben sich. Oder sie lächelt so unverschämt schelmisch, daß man sofort 1000 Token bezahlen würde, könnte man genau in diesem Moment ihre Gedanken lesen.


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