Überqualifiziert
Das Profimusikwerkzeug Cakewalk Pro Audio 7 als Audio-Arranger

von CyberJack IV


Das ist der Bericht einer schrecklichen Zweckentfremdung - das Entern eines professionellen Midi-Musiksequenzer- und Produktionssystems durch die Hardcore-Dance-Szene. Mit anderen Worten: Die Verwendung von Cakewalk Pro Audio 7 als reiner Sample-Arranger.

Den Samplerittern steht eigentlich nur semiprofessionelles Werkzeug zur Verfügung: Ob Musik Maker, Dance Machine oder einer der zahlreichen weiteren Sample-Arrangern - ambitionierten Musikprojekten der digitalen Art stehen in all diesen Programmen die engen Leistungsgrenzen der Wühltischsoftware entgegen. Was bleibt, ist der Griff zu Studiosoftware, die eigentlich für andere Zwecke konzipiert wurde. Dieser Bericht erzählt von den Erfahrungen mit einem der führenden Produkte dieser Sparte beim reinrassigen Sample-Einsatz. Und der Herr bewahre uns vor allem, was da Midi heißt.

Um es vorweg zu nehmen - es geht. Cakewalk in seiner aktuellen Version mit seinen ausgefeilten Einstellmöglichkeiten für Cache und Speichereinsatz erlaubt das Abspielen komplexer, spurreicher Audioclip-Arrangements. Im Laufe dieses Tests entstand unter anderem ein Musikstück, das ausschließlich auf Samples beruht und in 32 (!) Spuren arrangiert ist. Trotz des Einsatzes eines Rechners der Mittelklasse (Pentium II 133 MHz, 90 MB RAM) lief die Wiedergabe ruckelfrei - und sogar das Display des Arrangierfensters wanderte anstandslos mit.

Wer Cakewalk 6 kennt, weiß, was er am Nachfolger hat. Präsentierte sich Version 6 noch im superspartanischen Windows-Nacktlook, zeigt Version 7, daß Schönheit nicht leistungssenkend wirken muß. Das Layout des Arrangierfensters ist elegant und dabei zurückhaltend. Die wahnwitzigsten Bugs scheinen ebenfalls behoben zu sein: So klappt nun der Aufruf einer Datei aus der Recent-Liste - ein Vorgang, der beim Vorgänger zuweilen überraschende Ergebnisse zeitigte.
 

 

Übrigens: der nächste avAtaR erscheint am 1.07.1999 !

 
   

 
Eine Unzahl von Ansichten zeigen das Musikstück aus den unterschiedlichsten Perspektiven und Aspekten - von der Eventliste über das Notenblatt bis zum Gesangstext. Für den Einsatz als Sample-Arranger sind vor allem drei Ansichten von Bedeutung: das Arrangierfenster, das Audiofenster und das virtuelle Mischpult. Alle drei Ansichten strotzen vor Funktionalität und Editiermöglichkeiten - eine komplette Beschreibung würde jeden Rahmen sprengen.

Die Zusammenstellung der Samples erfolgt im Arrangierfenster. Die etwas umständliche Art, wie das bewerkstelligt wird, zeigt, daß Cakewalk etwas anderes sein will als nur ein Wave-Arranger. Aus der oberen Menüleiste muß der Befehl "Wave importieren" gewählt und die Datei aus dem sich öffnenden Dateifenster gewählt werden. Zwar gibt es hier eine Taste für das Abspielen des Waves, doch das Fehlen einer Autoplayfuktion bei Anklicken des Dateinamens belegt recht deutlich, daß sich die Entwickler den Einbau von Soundfiles doch eher als Ausnahmefall vorstellen.

Vorsicht geboten ist bei der Auswahl der Einfügeposition. Bei fahrlässiger Voreinstellung ist die importierte Wavedatei unversehens mit ihren Nachbarn verschmolzen und kann nicht mehr einzeln manipuliert werden. Endgültiger Schaden ist dadurch allerdings nicht zu befürchten: Die leistungsfähige Undo-Funktion beseitigt eine lange Reihe von Fehlbedienungsschritten.

Die Positionierung der eingefügten Datei, die sich als Balken präsentiert, erfolgt entweder durch Mauszug oder durch numerischer Eingabe der gewünschten Werte. Für die Positionierung mit der Maus kann ein Raster zugeschaltet werden, daß Quantisierungen zwischen ganzem Takt und 32tel-Triolen ermöglicht. Merkwürdigerweise gehört auch Cakewalk zu der Gruppe beklagenswerter Sequencerprogramme, bei denen die Entwickler nicht auf die Idee gekommen sind, Waves direkt im Arrangierfenster auf Doppelklick erklingen zu lassen. Das erspart so manche umständliche Solo-Aktion. Soll denn ein Billigprogramm wie Musik Maker hier allen anderen eine lange Nase drehen?

Praktisch ist die Definition kopierter Waves als Klone. Das bringt zwei Vorteile mit sich: Zum einen nimmt eine Gruppe geklonter Waves keinen eigenen Speicherplatz ein - es handelt sich lediglich um Zeiger auf die ursprüngliche Datei. Zum anderen ist die globale Editierung solcher Klongruppen sehr einfach: Wird ein Wert an einem der Familienmitglieder geändert, erfolgt die automatische Anpassung an allen anderen. Das funktioniert sogar beim Beschneiden der Waveparts: Wird das Ende an einem Klon abgeschnitten, verschwinden die Abschnitte auch an den anderen Gruppenmitgliedern. Was aber, wenn man an einem Mitglied der Klonfamilie eine individuelle Änderung vornehmen möchte? Kein Problem: Der Befehl "Clips erzeugen" schließt den gewünschten Part aus dem Familienverbund aus und macht ihn zu einem selbständigen Element, das eigenständig bearbeitet wird - und danach selbst wieder Gründer einer eigenen Klonfamilie sein kann.
 

 
 
   


Die direkte Bearbeitung der Waves erfolgt in der Audioansicht. Die mächtige Lupenfunktion mit ihrem riesigen Einstellspektrum macht aus einer 66-taktigen Übersicht mit ein paar Mausklicks eine riesige Detailansicht des zu editierenden Waves. Mit dem Zeichenstift lassen sich Fadekurven und Lautstärkenänderungen direkt auf die Wavekurve zeichnen. Für exaktere Editierungen stehen eine Reihe von Filtern und Effekten zur Verfügung. Neben grafischem und parametrischem EQ, Normalizer, Überblender und Hüllkurveneditor gibt es praktische Tools zur Tonhöhenerkennung sowie zum Aufteilen und zum Verbinden von Waves. Die Plugin-Abteilung bietet bereits im Lieferumfang eine Reihe virtueller FX-Geräte: Es gibt einen Time/Pitch-Shifter, der allerdings so unpraktisch ausgelegt ist, daß sein Einsatz in nervenaufreibende Trial-and-Error-Orgien ausartet. Vervollständigt wird das Bild durch die üblichen FX-Effekte, vom Delay und Echo über Phaser und Flanger bis zu einer Hallsektion. Allen Effekten ist eins gemeinsam: Sie stehen nicht in Echtzeit zur Verfügung. Einstellungen können zwar vorgehört, jedoch nicht gleichzeitig nachgestellt werden. Das versetzt die gesamte Effektsektion in die Amateurliga.

Offensichtlich sind sich die Cakewalk-Entwickler der Schwächen des Programms bei der Soundeditierung selbst bewußt, denn das Programm verfügt über einen direkten Übergang zu dem beliebten Soundeditor Cool Edit Pro. Bei Anwahl des entsprechenden Menüpunkts öffnet sich der Editor - wenn installiert - und präsentiert eine Werkkopie des Wavefiles im WAV-Format. Und genau hier zeigt sich ein resistenter Fehler: Entgegen vollmundiger Ankündigungen bei der letzten Version gibt es immer noch keinen Weg, auf diesem Weg Stereodaten nach Cool Edit Pro und wieder zurück zu übertragen. Das Dilemma ist systembedingt: Cakewalk kennt in seinem internen Waveformat kein Stereo. Importierte Stereo-WAVs werden in zwei Mono-Files umgewandelt und in zwei benachbarten Spuren positioniert. Gleichzeitig erfolgt die Pan-Regelung extrem links und rechts, so daß kein hörbarer Unterschied entsteht. Nur eben beim Export nach Cool Edit Pro gibt es Ärger: Cakewalk öffnet zwei Instanzen des Programms und schickt jede Stereoseite in eine davon. Sinnvolles Editieren ist so natürlich nicht möglich. Daß der Fehler auch in der Version 7 nicht behoben ist, läßt darauf schließen, daß es einer Kooperation beider Softwarefirmen bedurft hätte - und eben diese ist wohl nicht zustande gekommen. Schade.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt auch die zuschaltbare Wavedatei-Archivierung. Wenn gewünscht, speichert Cakewalk alle importierten Wavefiles komprimiert im Verzeichnis "WaveData" und spielt sie auch von dort aus ab. Das spart eine Menge Speicherplatz, besonders bei mehrfach verwendeten Waves. Auch das Aufräumen des Archivs ist unkompliziert: Cakewalk durchsucht alle installierten Laufwerke nach Cakewalk-Dateien und löscht aus dem Archiv alle Waves, die in keiner davon vorkommen. Schade nur, daß das Programm innerhalb des Archivs eigenständig kryptische interne Dateinamen vergibt. Der naheliegende Gedanke, das Archiv auch für eigene Archivierungsvorhaben zu benutzen, fällt damit flach.

Schön ist das neue virtuelle Mischpult. Jede Spur im Arrangierfenster erscheint als eigener Kanal, komplett mit Fader, EQs, aufwendigen Routings, Effekt-Sends und -Returns. Die Summenabteilung entspricht in ihrer Auslegung einem Mittelklasse-Studiopult. Programmierbare Fader und Effekte vervollständigen den Leistungsumfang.
 

 
 
   


So sehr man sich zu Beginn über diese Neuerung freut, so groß ist nach kurzer Zeit die Enttäuschung. Auf diese Weise gemischte Audioarrangements enden beim Export einer Master-Wavedatei im Desaster. Die Stellungen der Fader entsprechen den Werten der Spurlautstärkefelder im Arrangefenster. Und die müssen alle gleiche Werte vorweisen, soll die exportierte WAV-Datei mit dem identisch sein, was innerhalb von Cakewalk Pro Audio 7 zu hören ist. Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Lautstärken aller Waves und Klongruppen einzeln einzustellen. Abgesehen davon, daß das sehr umständlich ist, sind diesem Unterfangen akustische Grenzen gesetzt: Bei Dynamikspitzen sind Clipping- und Zerreffekte auf diese Weise vielfach nicht auszumerzen. Ein kleines Trostpflaster ist vorhanden: Für Amateurbedürftnisse ausreichend gibt es eine Exportmöglichkeit in das RealMedia-Dateiformat.

Wie gesagt: Reines Audio-Arrangement mit Cakewalk Pro Audio 7 funktioniert - aber nicht befriedigend. Besonders frustrierend ist, daß am Ende einer umfangreichen und weitgehend positiv ablaufenden Arrangementphase das Problem des Master-WAV-Exports der Freude ein jähes Ende setzt.

 

 
 


Daten

Produkt: Professionelles Musikproduktionsprogramm -
hier getestet als Sample-Arranger

Hersteller: Twelve Tone Systems, Inc.
Deutschland: http://www.klemm-music.de/cakewalk/cakewalk.htm


Systemvoraussetzungen:


Windows 95/98:
Pentium 100 oder höher (Pentium 200 empfohlen für Echtzeiteffekte)
16 MB RAM CD-ROM-Laufwerk
Windows 95/98-kompatible Soundkarte und/oder MIDI Interface
Soundkarte für die Aufnahme/Wiedergabe von Digital-Audio

Windows NT 4.0:
Pentium 120 oder höher
32 MB RAM CD-ROM-Laufwerk
NT 4.0-kompatible Soundkarte und/oder MIDI Interface
Soundkarte ist für die Aufnahme/Wiedergabe von Digital-Audio erforderlich


Positiv:

Auch bei zahlreichen Audiospuren störungsfrei lauffähig
Riesiger Funktionsumfang
Soundeditiermöglichkeiten direkt im Programm

Negativ:

Audiodateiimport etwas umständlich
Werkdateiexport nach Cool Edit Pro bei Stereodateien fehlerhaft
Starke Abweichungen beim Export einer Master-WAV-Datei

 
   


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