Erinnerungen an Sarah
von Ganymed

 

::::::::::::::: Als ich Sarah wiedersah, war es ein Feuer, ein Blitzschlag in meinem Herzen. Obwohl ihr Haar gefärbt war, erkannte ich sofort diesen ein wenig argwöhnischen Blick. "Trau keinem", schien er zu sagen. Unserer Zusammentreffen dauerte nur einen Augenblick, dann verschwand Sarah wieder in der Menge. Aber seit diesem Tag war mein Leben nicht mehr im Lot, ich dachte andauernd an sie und an unsere gemeinsame Vergangenheit. Wenn ich bloss gewusst hätte, wo sie zu erreichen war, ich kannte ihren Namen, aber Namen kann man ändern wie die Farbe des Haars. ::::::::::::::: Als ich sie etwa einen Monat später zum zweiten Mal zu Gesicht bekam, schien in ihren traurigen Augen ein tiefer Schmerz zu liegen, der mir das Herz brach. Aber bevor ich sie ansprechen konnte, war sie wieder verschwunden, als wäre sie nur ein Schatten, der beim Anschalten des Lichts entflieht. Diese zweite Begegnung hinterliess Spuren, ich konnte des Nachts nicht mehr ruhig schlafen und ging in meiner Kammer auf und ab wie ein Tiger in seinem Käfig. ::::::::::::::: Die Zeit mit Sarah war eine verrückte gewesen, wir waren jung und uns gehörte das Leben. Wir taten die Dinge, die mir heute, aus der Distanz des Älteren, leichtsinnig erscheinen mögen. Aber vor uns lag eine Welt voller Abenteuer und ein Zeitalter voller Hoffnungen.Wir waren unbefangen, ein wenig albern auch, und wir machten gemeinsame Erfahrungen, die uns zusammenschweissten wie Pech und Schwefel. ::::::::::::::: Sarah war blond gewesen, darum irritierte mich ihre neue Haarfarbe zuerst. Hätte diese momentane Verunsicherung nicht bestanden, wäre es mir sicher gelungen, sie sofort anzusprechen, bevor sie wieder in der Menge verschwand. ::::::::::::::: Ich rief mir meinen letzten Tag mit Sarah ins Gedächtnis. Ein Tag, den ich vergeblich aus meiner Erinnerung zu entfernen versucht hatte. Der Gedanke daran schmerzte. ::::::::::::::: Am Morgen waren wir aufgebrochen, die Quelle eines Flusses zu erkunden, als sie, nach stundenlangem Marsch, sich zu mir umdrehte und sagte: "Komm, lass uns schwimmen gehen". ::::::::::::::: Aus meiner Anwort klang wenig Begeisterung: "Dein Tatendrang in Ehren, Sarah, aber wo in alles in der Welt willst du schwimmen?". Der Flusslauf, den wir zu erkunden suchten, war nur noch ein Rinnsal, und auch der Unterlauf, an dem wir vor Stunden noch gegangen waren, war zum Schwimmen nicht geeignet. ::::::::::::::: Sarahs Blick verdüsterte sich. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzte hatte, musste es durchgeführt werden. "Ich will nicht mehr bis zur Quelle, es ist so verdammt heiss hier, alles nur Steine und bald kein Baum mehr, der Schatten wirft". ::::::::::::::: Mit einer ausladenden Armbewegung fasste sie die Unzulänglichkeiten der Gegend zusammen. "Komm, folge mir, ich weiss, wo wir schwimmen können". ::::::::::::::: Ich war erstaunt. "Woher willst du das wissen, du kennst doch die Gegend nicht, noch niemand war hier. Wir sollten dem Fluss folgen, dann kann uns nichts passieren." ::::::::::::::: "Du bist ein Feigling und naiv obendrein". Sarahs Bemerkungen konnten durchaus beleidigend sein. "Woher willst du wissen, dass ich mich hier nicht auskenne? Weisst du denn immer, was ich tue, wo ich bin, wenn wir nicht zusammen sind? Denkst du, du kennst mich wirklich?" Mit einem verächtlichen Schnauben drehte sie mir den Rücken zu und wollte schon in Richtung eines mir nicht bekannten Ziels marschieren. ::::::::::::::: Ich muss dazu bemerken, dass solche Szenen in unserer Beziehung durchaus üblich waren. Sarah war nicht zu bremsen, wenn es darum ging, Risiken einzugehen. Sie liebte die Gefahr. Und sie trotzte ihr. ::::::::::::::: "Verdammt, Sarah, willst du denn, dass wir vom Weg abkommen? Nur weil du schwimmen willst? Du kannst hier nirgends schwimmen, geht das nicht deinen verfluchten Dickschädel rein?". Auch ich konnte deutlich werden. ::::::::::::::: "Ach komm, wenn etwas nicht nach Fahrplan läuft, dann wird der Monsieur nervös. Was ist denn dabei, wenn wir nicht mehr diesem beschissenen Rinnsal entlanggehen? Was ist denn dabei, wenn wir einfach den Plan wechseln und nach links schwenken?" ::::::::::::::: Nein, es war vielleicht nichts dabei. Und doch beunruhigte mich eine Fahrplanänderung, wie Sarah es ausdrückte. Wer sich in Gefahr begibt, der kommt in ihr um. Und diese Welt war voller G efahren, voll fehlender Konstanten. ::::::::::::::: "Mach jetzt keinen Scheiss, Sarah, komm zu mir und wir gehen zurück und finden eine nette kleine Bucht, wo wir schwimmen können und im Sand rumtollen und weiss was nicht noch alles anstellen!". Ich schrie jetzt beinahe. ::::::::::::::: "Das ist wieder typisch, der Herr, ich will schwimmen und er will sonst was weiss ich anstellen. Wenn du bumsen willst, dann geh doch ins Bordell!". Das war nun ziemlich deftig. Unsere Beziehung beruhte gewiss nicht auf Sex, obwohl er ein nicht unangenehmer Bestandteil war. Mit Sarah zu schlafen war wie in einer Kirche laute Punkmusik hören oder an einem Sonntagmorgen Steine auf Büchsen werfen, wenn jemand versteht, was ich meine. Aber das wird mein Geheimnis bleiben, wie viele andere Geheimnisse auch, die nur mir und Sarah gehören. ::::::::::::::: Ich seufzte, was nicht selten vorkam, und folgte ihr. Sie führte mich durch unwegsames Gelände, stetig bergauf, bis wir zu einer Art Hochebene gelangten. Dort blieb sie stehen. Sie streckte die Nase in den Wind, wie ein Reh, das die Gefahr riecht. ::::::::::::::: "Was sagt dir der Wind?", frotzelte ich. Sarah bedachte mich mit einem bitterbösen Blick. Dann aber wurde ihre Mine schlagartig ernst. "Was ist denn jetzt passiert?", wollte ich wissen, sorglos wie ein Säugling. ::::::::::::::: "Sei ruhig!", fuhr sie mich an, "hörst du es nicht?" Ich hörte absolut nichts und dachte, sie wolle mich auf den Arm nehmen. "Ah, jetzt", sagte ich, "ich höre deine Wut verrauchen". Mit einer scharfen Handbewegung schnitt sie mir das Wort ab. ::::::::::::::: Nun wurde es mir doch unheimlich. Sarah konnte Dinge hören, die niemand sonst jemals hörte. Doch nun nahm ich das Geräusch ebenfalls wahr. Ein leises Grollen aus der Ferne. ::::::::::::::: Sarah stand da mit halb offenem Mund. Dann rief sie mir zu: "Wir müssen weg hier, schnell! Es kommt auf uns zu!" Wir rannten den Weg zurück. Sarah war flink und ich blieb immer wieder zurück. Ich hätte fragen wollen, was uns folgt, aber ich bemerkte nur das Entsetzen in Sarahs Augen und hörte das Grollen immer deutlicher, jetzt nicht mehr so fern. ::::::::::::::: Sarahs blondes Haar, das ihr sonst bis zur Brust reichte, wehte wie eine Flagge hinter ihr her. Es war das letzte, das ich von ihr sah. Meine Sarah mit wehendem Haar. Dann stolperte ich über einen Stein, fiel und schlug den Kopf hart gegen den Boden. ::::::::::::::: Mehr weiss ich über diesen Vorfall nicht zu berichten. Ich habe nie erfahren, was es war, das uns folgte, ob ein Lebewesen, ein ins Rutschen geratener Abhang oder gar das Wasser, in dem Sarah schwimmen wollte. Ich habe nur das Geräusch in meinem Kopf, und manchmal, in einsamen Nächten, versuche ich, dieses Geräusch mit anderen Geräuschen aus meiner Erinnerung zu vergleichen. Aber auch in den vielen Jahren, die ich von Sarah getrennt verbringen musste, habe ich kein vergleichbares Geräusch gehört. Oft quält mich der Gedanke, dass Sarah gewusst haben musste, was auf uns zukam, dass sie die Gegend gekannt hat. ::::::::::::::: Dann wiederum wird mein Selbstmitleid entfacht und ich stelle mir vor, dass Sarah solche Exkursionen ohne mich unternommen hat. Wir waren die Eroberer, die Entdecker, wir suchten nach Grenzen, wo Grenzen sein mussten und doch nie gefunden wurden. Wir waren ein Team. Und plötzlich hatte ich feststellen müssen, dass Sarah auch ohne mich zu all dem fähig war, was ich mir ohne sie nicht vorstellen konnte. Diese Einsicht schmerzte und machte mich zum einsamen Cowboy in einer Welt, die davon lebte, beseelt zu werden von Individuen wir mich. Und vor allem wie Sarah.

::::::::::::::: Aber dann sah ich Sarah wieder und der Blitzschlag in meinem Herzen lähmte mich. Oft im Leben sieht man ein Gesicht in der Menge und denkt, das kenne ich doch, die Person kommt mir bekannt vor. Und nur wenn die Person tot und begraben ist, kann man sich sicher sein, dass man sich täuscht. Oder auch nicht. Ich jedenfalls war mir hundertprozentig sicher, Sarah gesehen zu haben. Wie hatte ich mir ihren Blick eingeprägt. Misstrauisch, ein wenig spöttisch, aber immer, wenn sie nicht gerade wütend war, mit einem Lächeln um die Lippen. Wie wünschte ich mir, wieder mit ihr zu sprechen, mit ihr Abenteuer zu bestehen. ::::::::::::::: Bei der dritten Begegnung dann war ich geistig gewappnet und blieb nicht starr vor Schreck. Sie ging vor mir auf einem breiten Boulevard, der an diesem schönen Abend reichlich bevölkert war. Ich sah ihr Haar, rot jetzt, von hinten, und die Erinnerung kam mit einer Wucht zurück, die mich beinahe wieder zur Handlungsunfähigkeit verdammt hätte. ::::::::::::::: Ich schloss zu ihr auf und fragte im Gehen: "Kennen wir uns nicht?". Als sie sich zu mir umdrehte, schien mich eine unsichtbare Hand zu würgen. Sie war es, kein Zweifel. ::::::::::::::: "Ich kenne sie nicht, mein Herr". Ich musste leer schlucken, um das Würgegefühl loszuwerden. "Ich meine von früher, als dein Haar noch blond war". ::::::::::::::: Sarah blickte mir ungläubig in die Augen. Diesen Blick hatte ich so vermisst. "Ist das ihre Masche, wie? Ladies auf offener Strasse anquatschen. Ich habe schon gescheitere Anmache gehört". ::::::::::::::: Genau wie Sarah. Und doch wurde ich plötzlich unsicher. Wenn ich mich irrte? Es war lange her und mein Verstand hatte mir in der Zwischenzeit schon so manchen Streich gespielt. ::::::::::::::: "Tut mir leid, ich habe sie wohl mit jemandem verwechselt, der ihnen sehr ähnlich sieht". Sie lachte. "Macht nichts. Entschuldigen Sie bitte meine harten Worte von vorhin. Wollen sie mich ein Stück des Weges begleiten?". ::::::::::::::: Ich war sprachlos. Zuerst diese Abweisung und dann eine Einladung zum gemeinsamen Spaziergang. Der Abend war mild. Der Boulevard lud zum Flanieren. Rund um uns pulsierte das Leben, überbordete manchmal. Alle denkbaren Farben waren in dem Gewühle zu erkennen, alle Klänge zu hören, von verständlichen Silben bis zu Musik aus anderen Universen. Universen, die weiter entfernt waren, als uns unsere Vorstellung jemals erlauben wird und doch auch in uns selber existieren. ::::::::::::::: Ich glaube, wir fühlen in diesem Moment diese Universen, während wir schweigend gingen. Fühlten, wie das Leben uns umbrandete. Inmitten dieses Glückgefühles erinnerte ich mich an Sarahs traurigen Blick bei der letzten kurzen Begegnung. ::::::::::::::: "Darf ich sie etwas fragen?", brach ich das Schweigen. "Nur zu, fragen sie". "Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten. Ich habe sie innert kurzer Zeit nun schon dreimal gesehen. Das letzte Mal haben sie sehr traurig ausgesehen." ::::::::::::::: Sarah, die ein wenig kleiner war als ich, schaute hoch: "Ach, das haben sie bemerkt? Ja, ich war traurig, lange. Ich habe jemanden verloren". ::::::::::::::: "Das tut mir sehr leid". ::::::::::::::: "Darf ich sie auch etwas fragen?" ::::::::::::::: "Nur zu." ::::::::::::::: "Sie sagen, sie kennen mich. Ich sehe jemandem ähnlich?" ::::::::::::::: "Ja." ::::::::::::::: "Einer Person, die ihnen nahe steht?" :::::::::::::: "Einer Person, die ich vermisse." ::::::::::::::: "Glauben sie an Wiedergeburt?" ::::::::::::::: "Ich bin mir nicht sicher, manchmal denke ich, wir werden ständig wiedergeboren, im mer wieder von neuem ins Leben geworfen." ::::::::::::::: "Ins Leben". Sarah flüsterte die Worte. "Mir ist kalt", sagte Sarah, obwohl der Abend lau war. Sie schlang sich die Arme um ihren Körper. Ich widerstand dem Drang, ihr den Arm um die Schulter zu legen. "Und wenn ich ihnen sage, dass die Person, die sie vermissen, nie gelebt hat?", Sie sprach sehr leise. ::::::::::::::: "Dann muss ich ihnen sagen, dass ich das nicht glauben kann. Nicht akzeptieren." ::::::::::::::: Sarah ging nicht weiter. Wir standen uns gegenüber. Ihr Gesicht, ich wollte es berühren. Alles, was mir jemals wichtig gewesen war, fand ich in ihren Augen. "Warum kommst du nicht zu mir zurück, Sarah?" Ich war nun davon überzeugt, der Frau, die mein Leben bestimmt hatte, gegenüberzustehen. ::::::::::::::: Sarah schloss die Augen. Während sie sprach, wurde auch mir kalt: "Du solltest Abschied nehmen. So wie ich es getan habe. Abschied von einer Wirklichkeit, die es nie gegeben hat. Du verwechselst Leben mit Existenz und trägst Erinnerungen in deinem Herzen, die keine Heimat finden. Sie werden ruhelos in dir wüten und dich schliesslich zerstören. Du hast an eine Lebensgeschichte geglaubt, die mit deiner inneren Welt harmoniert, hast aber dabei übersehen, dass es dir nicht gegeben ist, Realitäten zu schaffen ohne die Verantwortung dafür zu tragen. Deine Phantasie hat sich von Dir gelöst sich verselbständigt. Es hat keine Sarah gegeben. Ich bin nicht Sarah." ::::::::::::::: Mit diesen Worten verschwand sie, als wäre sie nur ein Schatten, der beim Anschalten des Lichts entflieht.

 
 
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